Vortrag von Claus Maywald im Rautenstrauch-Joest Museum Köln am 1.11. 2016

Beim Mexikanischen Totenfest hielt Claus Maywald den Vortrag über das mexikanische Totenfest mit dem Titel „Nur das ganze Leben“. Claus Maywald Mexikanisches Totenfest Köln Rautenstrauch-Joest Museum

Claus Maywald Mexikanisches Totenfest Köln Rautenstrauch-Joest Museum

 

Der Wortlaut des Vortrags:

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin dankbar und freue mich, zu Ihnen heute und hier im Rahmen des mexikanischen Totenfestes sprechen zu dürfen. Es ist ein ethnologisches Museum, und ich bin kein Ethnologe. Es ist ein mexikanisches Fest, und ich bin kein Mexikaner. Ich glaube, ich sollte mich erklären. Das Thema, zu dem ich sprechen werde, hat das mexikanische Totenfest im Fokus – vom Umgang mit dem Tod in Mexiko, zum Ablauf des Totenfestes und zu einzelnen Elementen des Festes. Was ist daran so faszinierend, sich damit zu beschäftigen? Was macht es für Menschen wie mich, die im Bereich von Hospiz, Sterbe- und Trauerbegleitung arbeiten, so interessant? Was möchte ich daher noch ansprechen, dass über das Fest hinaus geht und es eben nicht nur im Rahmen der Ethnologie oder im Rahmen von Mexiko belässt? Es ist nicht das vordergründig Bunte, Exotische, das scheinbar so heitere Spiel mit dem Tod und den Knochenmännchen, das mich wirklich fasziniert. Es ist einerseits die gelebte Verbindung zu den Verstorbenen, andererseits und damit verknüpft das Gefühl einer Generationenkette, in der man im Augenblick noch vorne steht. Diese meiner Meinung nach zutiefst heilsamen Verbindungen und Vorstellungen, die so selbstverständlich gelebt werden, üben für mich den wirklichen Reiz des Festes aus, erfüllen es über das „Bunte“ hinaus mit tieferen Sinn. Davon können wir gerne etwas mitnehmen, es vielleicht in unsere Gedankenwelt einlassen, erkennen, wie schön es ist, mit seinen Verstorbenen – sogar bei einem Fest – in Kontakt zu bleiben und sich dabei gleichzeitig seiner Endlichkeit zu stellen. Das steht für mich hinter der großartigen Tradition, und sie hat das Potential, den Rahmen der Ethnologie und die Grenzen Mexikos zu verlassen, und sie tut es bereits mit viel Erfolg, wie hier zum Beispiel in Köln heute Abend. Wieder zurück nach Mexiko.

2       FOLIE / Straßenbild mit Totenfiguren in Mexiko City

Was ist zum Umgang mit dem Tod in Mexiko zu sagen? Kurz gesprochen: er ist gegenwärtig, deutlich gegenwärtiger als in unserem Kulturkreis. Für die Mexikaner steht der Sensenmann allmächtig und unberechenbar mitten in ihrem Leben. Er wird im öffentlichen und privaten Rahmen unverhohlen und mit vergleichsweise ungewöhnlicher Häufigkeit dargestellt. Wie auf diesem Bild, wo Wandmalereien oder Skulpturen mit Totenfiguren mitten auf der Straße stehen. Hier noch an den Tagen des Totenfestes.

3       FOLIE / Wandmalerei in Oaxaka

Bei diesem Bild ist es hingegen eine Wandmalerei in Oaxaka, die permanent zu sehen ist. Ein für europäische Augen gewöhnungsbedürftiges Bild. Die dort gemalte Vertraulichkeit mit dem Tod ist für den Mexikaner nicht dem Leben entgegengesetzt, sondern gehört zu ihm wie der Schatten zum Licht, man darf sie zeigen und man zeigt sie. Diese besondere Beziehung zum Tod, hat seine Wurzeln weit in vorspanischer Zeit. Schon damals wurden Feste für und mit den Toten gefeiert, und auch heute schafft das jährliche Wiedersehen mit den Toten eine Möglichkeit des Kontakts zwischen Lebenden und Toten. Tod und Trauer driften nicht in Richtung der Verdrängung ab, sondern werden mit Konfrontation und Inhalt gefüllt, so dass der Tod in diesem Miteinander nicht als trennende Instanz in den Vordergrund gerät.

4       FOLIE / Besondere Gäste in einem Restaurant / Mexiko-City Abendimpression vor der Kathedrale

Dieses Miteinander wird deutlich, wenn man zum Beispiel in einem Restaurant auf diese besonderen Gäste stößt, oder sich von der feierlichen Atmosphäre während des Totenfestes auf dem Platz vor der Kathedrale in Mexiko City anstecken lässt. Die Vertrautheit und der unbekümmerte Umgang mit dem Tod bedeuten aber nicht, dass Mexikaner keine Angst vor ihm empfinden. Der andauernden Blick auf den Tod, die Darstellungen von ihm und die Witze über ihn sollen ihn in Schach halten, das Fürchterliche nehmen oder ihn gar beherrschen. Da passt es gut, wenn der brüske Übergang von tiefster Ergriffenheit im Gedenken an die Toten zur überschwänglichen Lebensfreude, der Freude, noch zu leben, als typisch mexikanisch angesehen wird.

5       FOLIE / Grab zwischen parkenden Autos

Dieses geschmückte Grab zwischen parkenden Autos zeigt sowohl die Unbekümmertheit, den Tod überall zu begegnen, als auch die Erwartung, ihn immer zu finden, jederzeit damit konfrontiert zu sein. Dieses Grab fällt wie ein Memento Mori ins Auge, wie etwas, das man immer zu bedenken hat.

6       FOLIE / Bus nach Mictlan

Dasselbe gilt für diesen Bus nach „Mictlan“. Wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass er von einer Totenfigur am Steuer gelenkt wird, der ihn in einen Jenseitsort aus vorspanischen Vorstellungswelten, Mictlan genannt, fährt. Man steigt ein und wird dorthin gefahren, an einen Ort, wofür man sicherlich nicht am Anfang das Ticket gelöst hat. Der Tod nimmt die Menschen mit, mitten im Alltag und mitten in der Alltäglichkeit.

Dieser kurze Einstieg zum Umgang mit dem Tod in Mexiko braucht noch einen mexikanischen Zeugen. Dafür möchte ich zum Schluss dieser Einleitung Octavio Paz zitieren, der mit seinen Worten die Verbindung von Leben und Tod in der Vorstellungswelt der Mexikaner beschreibt: „Unsere Lieder, Sprichwörter und Fiestas bezeugen unmissverständlich, wie wenig der Tod uns zu schrecken vermag, denn das Leben hat uns gegen Schrecken gefeit. Sterben ist natürlich, sogar wünschenswert: je früher, desto besser. Unsere Geringschätzung des Todes ist also die Kehrseite unserer Geringschätzung des Lebens.“ Dennoch stellt diese Geringschätzung keinen Widerspruch zum mexikanischen Todeskult dar, denn der Tod ist ständiger Begleiter der Mexikaner im Alltag, sei es in riskanten Überholmanövern und Wettrennen im Straßenverkehr, in Beleidigungen und Drohungen, die bis zum tödlichen Duell führen können, in der Vorliebe vieler Mexikaner für den tödlich endenden Stierkampf oder Hahnenkampf, sowie im stoischen Ertragen von Katastrophen oder tödlichen Schicksalsschlägen im Freundes- und Verwandtenkreis.“

Ich darf zum Hauptteil übergehen: Wie sieht das Totenfest im Mexiko aus?

Seinem Charakter nach ist es ein heiteres Fest, da es das Gedenken an die Verstorbenen lebendig hält und die Verbindung zwischen Leben und Tod bestätigt. Allerdings kennt das Fest auch seine traurigen Momente. Es ist ein bisschen alles in einem.

7       FOLIE / Charakter des Totenfestes

So wird die Traurigkeit am ersten Totengedenktag des Jahres oder bei frisch Verstorbenen am Tag der Toten sicherlich emotional verstärkt, können die Betroffenen nicht die Heiterkeit an den Tag legen, die gerade um sie herum herrscht. Auf diesem Bild passt daher die sichtbar trauernde Person in der Mitte gut neben die Menschen, die sich scheinbar auf einem Volksfest bewegen. Sicher ist aber auch, dass die privaten Gefühle und traurigen Emotionen eher im familiären Rahmen des Festes ihren Platz finden, während die bunten und sonstigen Elemente lieber nach außen getragen werden.

8       FOLIE / Das Totenfest im familiären Rahmen

Sieht man diese beiden Bilder in Bezug auf den familiären Rahmen, so stellen sich bei uns Gedanken und Vorstellung an die Adventszeit des europäischen Weihnachtsfestes ein. Und im Prinzip kann der Aufwand, der in Mexiko für den Tag der Toten betrieben wird, damit verglichen werden. Es ist in diesem Rahmen ein Familienfest, an dem die Verstorbenen eingeladen sind. Der Charakter des Festes zudem bei der sich selbst auferlegten Aufgabe der Lebenden deutlich: die Totenseelen kommen zurück und die Lebenden stehen ihnen zu Diensten. Erinnerung und Vergegenwärtigung verstorbener Angehöriger im stehen Vordergrund, und die Aspekte von Gemeinsamkeit, des Zusammentreffens, der Teilnahme an Festlichkeiten, bei denen die Verstorbenen im Kreise ihrer Familie oder Freunde als anwesend gelten, verortet die Feier im Kontext des Lebens. Damit entsteht diese starke Beziehung zwischen Tod und Leben. Und je mehr Menschen anwesend sind, desto geehrter dürfen sich die Seelen der Verstorbenen fühlen.

9       FOLIE / Das Totenfest im gesellschaftlichen Rahmen

Die gesellschaftliche Seite des Festes wird daran deutlich, dass es als Bühne für öffentliche Kritik, auch in Form von Demonstrationen, genutzt wird, um auf Missstände hinzuweisen. So prangert die hier dargestellte öffentlich sichtbare Ofrenda den Tod einer Näherin an, während auf dem anderen Bild der Opfer vor einem Krankenhaus gedacht wird. Der Tag der Toten erlaubt eine gewisse Narrenfreiheit zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen. Verse, Romanzen und Lieder auf Freunde und Feinde des öffentlichen Lebens werden gedichtet, so als seien sie bereits gestorben, und bei der Nennung der Todesursachen kommen deren Mängel und Tugenden zur Sprache. Regeln von Zurückhaltung sind an diesen Tagen weitgehend außer Kraft gesetzt: Die Politik, die Wirtschaft und die Misswirtschaft, die großen und kleinen Figuren der Öffentlichkeit– sie und vieles andere noch werden gegeißelt. Es ist eine Kritik, die übrigens nicht mit der großen Entrüstung, mit pathetischen Protesten auftritt, sondern mit dem geistreichen Einfall, dem ironischen Lächeln, den satirischen Nadelstichen. Hierbei spielt das populäre Flugblatt, „Clavera“ genannt, eine traditionell besondere Rolle. Beide Komponenten, die familiäre und die öffentliche,  machen das Totenfest zu einem nationalen Ereignis und zu dem vitalen Kulturphänomen aller Mexikaner, das zur Identität des Landes und seiner Bewohner beiträgt. Allerdings führt in neuerer Zeit die Überlagerung von Halloween und Totenfest zu einer Wandlung.

10     FOLIE / Das Totenfest als sich wandelndes Kulturphänomen

Wie auf diesem Bild eines „Kinderumzuges“ zu sehen ist, mischt die jüngere – vor allem städtische – Generation die eigene Tradition mit einer Anderen: Sie feiert am 31. Oktober Halloween und fährt am 1./2. November mit den traditionellen mexikanischen Feierlichkeiten am Tag der Toten fort. Da gleichzeitig auch der Glaube an die Rückkehr der Seelen abnimmt und sich die Bedeutung der Symbolik und Traditionen zu verlieren beginnt, kommt es zu einer gewissen Verflachung. Noch aber ist die Tradition lebendig und sie hat Ihren eigenen Zeitplan.

11     FOLIE / Monarchfalter

Er wird eröffnet, wenn sich Ende Oktober der lange Sommer verabschiedet und riesige Schwärme orange- schwarz leuchtender Monarchfalter die Landschaft Zentral-Mexikos überfliegen. Sie gelten als Vorboten der Totentage.

12     FOLIE/ Vorbereitungen für das Totenfest

Um diese Zeit herum fangen jetzt die Straßenhändler und Geschäfte an, makabres Spielzeug wie bewegliche Plastik- und Pappmaché-Skelette, Skelettmasken und –umhänge, Miniatursärge sowie Totenschädel und Knochen in verschiedensten Variationen anzubieten. Gleichzeitig werden die Schaufenster mit Skelett-Szenen, Totenköpfe aus Zuckerguss und bunten Scherenschnittbilder mit Totenkopfmotiven dekoriert. In den Bäckereien läuft jetzt die Herstellung des „Totenbrotes“ (pan de muerto) auf Hochtouren, und findet seinen Absatz, wenn es nicht innerhalb der Familien selbst gebacken wird. Auf dem Markt besorgt man sich die Blumen wie die orange Totenblume Tagetes oder die weiße Gladiole, dazu verschiedene Obst- und Gemüsesorten, bevorzugt mit gelber und oranger Farbe wie Banane, Kürbis oder Orange. Süßigkeiten, Kerzen, Keramiken und Dekorationsgegenstände aus Papier, Holz oder Plastik kommen ebenfalls in den Einkaufskorb. Die Häuser selber werden für den Besuch des oder der Toten herausgeputzt und in vielen am Vorabend des „Tags der Toten“ ein Totenaltar, auch Ofrenda genannt, aufgebaut.  Dazu kommt die Arbeit auf dem Friedhof.

13     FOLIE / Vorbereitung der Gräber

Denn in Mexiko sind die Friedhöfe, entgegen unseren Gewohnheiten, vielfach immer noch keine dauerhaft gepflegten Erinnerungsstätten, sondern ähneln Plätzen, die in unseren Breitengraden früher einmal „Gottesacker“ genannt wurden. Traditionell richtete, pflegte und schmückte man nur während der Totentage  die Friedhöfe in Mexiko. Durch diese jährliche Wiederkehr und Inszenierung des Todes wird gleichsam das Grab zum Leben erweckt und mit Blumen, Kerzen und Lebensmitteln dekoriert, so dass der Eindruck eines farbenprächtigen Gartens, das Bild einer „blühenden Beziehung“ entsteht. Die folgenden beiden Folien zeigen dies sehr eindrücklich.

14     FOLIE / Friedhof am Tag der Toten / Oaxaca

Zum einen hier auf einem Friedhof in Oaxaca…

15     FOLIE / Friedhof am Tag der Togen / Chamula Xochimilko

… zum anderen in einer ländlicheren Gegend in Chamula und Xochimilko.

Der Tag der Toten ist dabei nicht nur ein einzelner Tag.

16     FOLIE / Die Tage des Totenfestes

Das Totenfest gedenkt an jeweils unterschiedlichen Tagen den Verstorbenen, je nachdem in welchem Alter oder unter welchen Umständen sie gestorben sind. So wird in der Nacht vom 28. zum 29. Oktober den Seelen der Verstorbenen gedacht, die bei Unfällen, Selbstmord oder Mord zu Tode kamen. Ihnen zum Gedenken wird eine Kerze aufgestellt. In der  Nacht vom 29. zum 30. Oktober gedenkt man dann den Seelen der Verstorbenen, die ohne Taufe oder letzten Segen gestorben sind. Auch Ihnen wird eine Kerze aufgestellt. Die darauf folgende Nacht vom 30. zum 31.Oktober wird den Seelen der Verstorbenen gedacht, die keine  Angehörigen haben. Sie bekommen ebenfalls eine Kerze. In der darauffolgenden Nacht vom 31.Oktober zum 1.November erwartet man die Ankunft der “ angelitos“, der als „Engelchen“ bezeichneten toten Kinder. Hier im Bild links und an den weißen Blumen zu erkennen. Für diese wird eine Ofrenda  aufgebaut. Den Abschluss des Totenfestes bildet die Nacht vom 1. zum 2. November. Hier erfolgt die Ankunft der Seelen der verstorbenen Erwachsenen, für die ebenfalls eine Ofrenda aufgebaut wird.

17     FOLIE / In Hof und Haus

Ehrt man die Verstorbenen zu Hause, wird ihnen mit Musik und Knallkörpern, den leuchtend farbigen Tagetes-Blumen und dem Verbrennen von Copal-Harz und Weihrauch, der Weg gewiesen.  Die Spur der Tagetesblumen von den Toten bis zu Haus und Hof oder bis zur Ofenda im Inneren stellt das Bild von Felix Pestemer sehr eindrücklich dar. Zuweilen wird auch eine Lampe über das Hoftor gehängt, die den Toten den Weg erleichtern soll. Auf der Ofrenda im Haus werden den Verstorbenen Opfergaben dargelegt – zu diesem Zweck wird ein Tisch mit Blumen und allerlei Speisen gedeckt – persönliche Andenken, Kleidungsstücke und ein Photo des Verstorbenen gehören ebenfalls dazu. Nach dem Empfang der verstorbenen Seelen am Abend des 1. November zu Hause, ziehen die Mexikaner als Familie und mit Freunden gemeinsam zum Friedhof, um dort die Nacht an den Grabstätten ihrer Toten zu verbringen.

18     FOLIE / Friedhof am Tag der Toten

Dabei tauchen die vielen Kerzen und Lichter die Friedhöfe in eine ganz eigene Atmosphäre ein. Die Mexikaner kommen auf den Friedhof nicht mit leeren Händen. Sie nehmen gekochten Speisen und Getränke mit, die den Toten als Opfergaben dargebracht und anschließend gemeinsam gegessen werden. Denn dem Glauben nach erscheinen die Seelen der Toten während der Nachwache, um symbolisch die Gaben  wie das das Totenbrot, die süßen Totenschädel und die Maisgerichte, sowie die alkoholischen Getränke Tequila oder Mezcal anzunehmen. Dazu werden intensive Gespräche in der Familie und mit den Freunden geführt. In dieser Nacht erinnert man sich besonders klar an die Verstorbenen, spricht über ihre Besonderheiten, ihre Vorlieben, ihre kleinen menschlichen Schwächen, über die Art, wie sie starben und an ihre nächsten Freunde. Es wird auch getanzt und musiziert – mit eigenen Instrumenten oder durch engagierte Mariachi-Gruppen.

19     FOLIE / Mariachi Musik

Die Mariachi-Musik ist volkstümliche Musik aus Mexiko. Die Gruppen bestehen aus Violine, Trompete, Gitarre und Bass; sie spielen ihre Lieder nicht nur am Totenfest, sondern auch zu anderen Familienfeiern –von der Hochzeit bis zur Beerdigung. Die Erinnerung an die Verstorbenen wird am Totenfest mit dem Spielen der Lieblingslieder von ihnen verbunden. Die fröhliche Stimmung wie auch die Musik ist allerdings nicht durchgängig, man sieht auch weinende Menschen.

20     FOLIE / Abschied von den Verstorbenen

Die Festlichkeiten dauern bis in die frühen Morgenstunden. Am Tag des zweiten Novembers ist es dann an der Zeit, sich langsam wieder vom Tod und von den Toten zu verabschieden. Dies geschieht zum Teil still und andächtig in den Familien, zum Teil auf den Friedhöfen, zum Teil aber auch in der Gemeinschaft der Öffentlichkeit. War man bis jetzt auf dem Friedhof, wo wird der Heimweg angetreten – bis zum nächsten Dia de los muertos.

21     FOLIE  / Umzug Kinderpaar hinter dem Wagen

Ein weiterer Ausdruck im Rahmen des Totenfestes sind Umzüge, in denen Mexikaner in aufwändigen Skelett-Verkleidungen und bunt geschmückten Wägen – mit lustigen, bisweilen makabren Szenen zum Tod – durch die Straßen ziehen. Dazu zählt zum Beispiel das hinter dem Wagen laufende Kinderpaar – hier links im Bild.

22     FOLIE / Umzug tanzende Frauen

Die auf der Straße laufenden und tanzenden Frauen erinnern hingegen an die Umzüge des europäischen Karnevals.

23     FOLIE / Am Lago Patzcuaro

Das mexikanische Totenfest wird selbstverständlich nicht überall in gleicher Weise gefeiert. Mexiko besteht aus zahlreichen verschiedenen Regionen und Ethnien. Diese Verschiedenheit spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Handhabe der Bräuche hinsichtlich des día de los muertos wieder. Hier am Lago Patzcuaro sieht man zum Beispiel die Prägung des Totenfestes durch die Fischerei. Die Menschen fahren dabei mit ihren Boten, auf denen vorne ein Feuer brennt, um Mitternacht auf den See hinaus, um auch dort ihre Verstorbenen abzuholen.

24     FOLIE / Lokale Varianten Stadt und Land

Nicht nur hier, sondern überall in Mexiko haben die Bräuche im Laufe der  Zeit kleine und große Veränderungen erfahren, so dass man heute, je nachdem in welcher Region des kulturell so vielschichtigen Landes Mexiko man sich aufhält, höchst unterschiedliche Ausprägungen findet. Große Unterschiede bestehen auch zwischen größeren Städten und kleinen, einsamen Dörfern, sodass es sehr schwierig ist, von dem einen mexikanischen Totenfest und -kult zu sprechen, da seine Gestalt zu vielfältig ist.

25     FOLIE / Eröffnung einer Ofrenda

Den nächsten Teil meines Vortrags möchte ich dem Totenaltar, der sogenannten Ofrenda widmen. Sie stellt eines der bekanntesten Elemente am Tag der Toten dar und steht für die direkte Beziehung der Lebenden zu den toten. Sie ist meinst einem Verstorbenen gewidmet und auch mit Erinnerungsstücken an ihn geschmückt. Die Ofrenda stellt kein isoliertes Kunst- oder Erinnerungwerk dar. Sie ist in den Ablauf des Festes integriert. Ihre traditionelle Eröffnung erfolgt mit einem Muschelton. Dabei wird in die vier Himmelsrichtungen geblasen und die Toten gebeten, an den Altar zu kommen. Ihnen diesen Weg zu erleichtern, ist eine wichtige Aufgabe für die Lebenden. An den Eingangstüren werden daher Laternen aufgehängt und/oder der Weg von draußen bis zur Ofrenda im Inneren des Hauses oder bis zum Grab am Friedhof mit einer Spur von ausgestreuten Tagetesblumen gewiesen. Der Schmuck bzw. die Ausstattung einer Ofrenda ist vielfältig.

26     FOLIE / Ausstattung einer Ofrenda

Als Grundlage sind jedoch die vier Elemente anzusehen – die Blumen als Zeichen der Erde, das Wasser, die Kerzen für das Feuer und das Rauchharz als Symbol des Windes für die Luft. So minimalistisch wie hier auf dem Bild zu sehen ist aber keine Ofrenda. Es wird immer ein großer Aufwand betrieben, damit es den Verstorbenen bei ihrem Besuch an nichts fehlt. Natürlich hängt die Menge und Qualität der Gaben von den finanziellen Möglichkeiten der Familien ab; sparen ist aber nicht wirklich angesagt, vergrößert eine prächtige und üppige Ofrenda doch auch das Ansehen der Familie. Kehren wir zu den Elementen zurück.

27     FOLIE / Tagetes Stand

Die Tagetes Blume auf der Ofrenda repäsentiert das Element „Erde“. Die gelb-orange Blume hat einen intensiven Geruch und ist im Monat Oktober und November überall in Mexiko präsent. An unzähligen Ständen werden die Blüten und Blumen angeboten und verkauft. Dabei stehen sie nicht nur in der Vase.

28     FOLIE / Tagetes Dekor

Mit ihren Blüten werden Blumenbilder und –teppiche gestaltet. Im überlieferten Glauben geht man davon aus, dass die Verstorbenen die gelbe-orangen Farbtöne am besten erkennen können, sodaß die Togen sich an den Tagetesblumen und –blüten gut orientieren können. Jenseits des christlichen Glaubens galt die Tagetes schon als Lieblingsblume der aztekischen Göttin Xochiquetzal, der Göttin der Erde und Wächterin der Gräber.

29     FOLIE / Kerze auf Ofrenda in Mexiko City

Die Kerze als Symbol für das Feuer fehlt wirklich auf keiner Ofrenda und stellt in unserer sicherheitsbetonten Zeit geradezu den Alptraum aller Sicherheits-beauftragten und Brandschutzfachkräften dar. Sie bleibt aber und wird auch in Zukunft nicht durch elektrisches Gefunkel ersetzt. Die Farbe der Kerze ist auch bedeutungsvoll. Eine rote steht für den Schmerz und eine weiße für die Hoffnung. Das Wasser als drittes Element ist in verschiedener Art und Weise auf einer Ofrenda vertreten. Zum einen stehen die Tagetesblumen in ihm, zum anderen spielen Getränke, von Wasser bis Bier und Tequila, von Kaffee bis Kakao, auf der Ofrenda eine große Rolle. In einer Karaffe auf dem Totenaltar dient es zur Erfrischung des oder der Verstorbenen nach ihrer langen Reise aus dem Totenreich.

30     FOLIE / Copalharz

Es verbleibt das Element der Luft. Das Copal als Bezeichnung für Baumharze verschiedener botanischer Herkunft, das in Mexiko seit Alters her als Räucher-werk Verwendung findet, darf dieses Element vertreten. Copal wird in verschiedenen Formen und Farben auf den Marktständen verkauft.

31     FOLIE / Ofrenda NPH Kinderdorf

Da die Ofrenda einer Person gewidmet ist, darf natürlich das Bild der Person nicht fehlen. Es befindet sich hier unter der großen Figur der Kathrina, die diesen Altar beherrscht. Neben dem Bild haben auch Gegenstände des Verstorbenen, wie z.B. ein Kleidungsstück oder Schuhe, ihren Platz. Ebenfalls gehen Gegenstände, bei denen ein Bezug zum Verstorbenen gegeben ist, wie zum Beispiel Zigaretten, die er geraucht hat.

32     FOLIE / Essen

Der Geschmack der Verstorbenen spiele eine Rolle beim Essen, dass sich auf der Ofrenda befindet. Es ist sowohl für sie als auch für die Lebenden gedacht. Da die Verstorbenen aber von den Lebenden eingeladen wird, bekommen diese ihr Lieblingsessen zubereitet. In der Regel, weil traditionell, ist es ein Maisgericht. Dazu kommen noch die Getränke, welche die Verstorbenen gerne genossen haben – und mit ihnen die Überlebenden. In der Vorstellung der Mexikaner wird der Geschmack der Speisen und Getränke von den Toten aufgenommen, sodass für die Lebenden genug zu essen bleibt.

33     FOLIE / süße Totenköpfe

Die süßen Totenköpfe, die im Rahmen von Essen und Trinken ebenfalls die Ofrandas bevölkern, sind für sich schon eines der bekanntesten Symbole des Totenfestes. Sie werden aus Zuckerguß, Schokolade oder Marzipan hergestellt und mit grellbunten Verzierungen versehen. Wie Plätzchen bei uns verschenkt man sie gerne an Freunde und speziell an Kinder. Die hat nicht zur Bedeutung, dass die entsprechende Person bald sterben wird, sondern ist eine freundschaftliche Geste und dem Glauben nach ein Zeihen, dass die Freundschaft oder die Liebe über den Tod hinaus anhalten wird.

34     FOLIE / Toluca süße Totenköpfe

Beim Einkauf der süßen Totenköpfe hat man eine große Auswahl, wie auf diesem Bild zu sehen ist. Der Zuckermarkt in Toluca gilt als der größte Markt in Mexiko für diese Produkte.

35     FOLIE / Totenbrot

Eine weitere für die Totentage speziell gefertigte Speise ist das sogenannte Totenbrot. Dieses süße Hefebrot mit Anis hat verschiedene Formen angenommen, die aber alle durch ihre spezielle Form auf Knochen und Skelett verweisen. Manchmal werden diese Brote in eigens für das Totenfest aufgestellten Backöfen gebacken. In ihrer Funktion als Gabentisch für den oder die Verstorbene, zu der die Toten eingeladen werden und sich auf die Reise vom Land der Toten bis nach Hause, zu ihrer Ofrenda, aufmachen, muss diese noch über eine weitere Ausstattung neben den Gegenständen, den vier Elementen und dem Essen und Trinken verfügen. Die Seele benötigt einen Stuhl oder eine aus Palmblättern geflochtene Matte, um sich nach der Reise ausruhen zu können. Seife und Handtuch daneben dienen der Seele dazu, sich frisch zu machen, und der Tisch mit einer schön bestickten Tischdecke soll die Festlichkeit des Tages unterstreichen und das Willkommen richtig in Szene setzen.

36     FOLIE / Totenfiguren 1

Nicht nur auf der Ofrenda, sondern auch an vielen mehr oder weniger exponierten Plätzen – wie z.B. Schaufenster – finden sich Totenfigürchen oder Totenschädel. Sie können einzeln oder in Gruppen vorkommen – so wie hier oben als Sargträgerkolonne mit dem Skelett, dass aus dem Sargdeckele so „fröhlich“ herausschaut. Diese Figuren und Köpfe sind in allen Größen – von Naturgroß bis zur Miniatur – erhältlich.

37     FOLIE / Totenfiguren 2

Es sind oft humorvolle Abbildungen, die beim Mexikaner und vielleicht auch  bei uns, Heiterkeit hervorrufen. Die Schädel und Figuren haben zudem keine sakrale Bedeutung – sie werden eigentlich kaum zur Grabdekoration benutzt und überhaupt nicht bei Beerdigungen. Im Gegensatz zu den süßen, essbaren Totenschädeln haben sie eine „Memento-Mori“-Funktion – sie sollen den Beschenkten daran erinnern, dass der Tod jedem bevorsteht.

38     FOLIE / Spielzeug

In einen ähnlichen Bereich fallen die verschiedenen Spielzeuge mit direktem Bezug zum Thema Tod und Sterben. Die Särglein und Figürchen etc. werden an den Tagen des Totenfestes den Kindern zum Spielen gekauft oder den Seelen der verstorbenen Kinder auf der Ofrenda angeboten.

39     FOLIE / Totenfiguren Kunsthandwerk

Im kunsthandwerklichen Bereich und damit in einem erheblich teureren Segment als dem bei Spielzeugen und Totenfiguren werden große Tonensembles mit vielen Totenfiguren und in ganzen Szenen geschaffen. Die Ortschaft Metepec bei Mexiko City ist hier eines der führenden Zenten dieser Kunstgattung.

40     FOLIE / geschnittenes Papier 1

Was sich ebenfalls fast bei jeder Ofrende und inbesondere im öffentlichen Raum befindet, sind die sogenannten geschnittenen Papiere – papel picado genannt. Ihre Tradition reicht bis in das 18. Jahrhundert zurück, in eine Zeit, in der Papier aus China nach Mexiko importiert wurde. Zugleich gehen einige Motive bis heute noch auf chinesische Vorlagen zurück. Während früher die Kirche als Auftraggeber und Abnehmer der Papiere für die religiösen Festtage in Erscheinung trat, finden sich heute insbesondere Privatpersonen als Käufer der manchmal sehr detailreichen Objekte.

41     FOLIE / geschnittenes Papier 2

Die Motive mit den Skelettfiguren haben mittlerweile einen festen Platz in der Dekoration am Tag der Toten gefunden und können, auf langen Schüren über die Straße gehängt, ganze Straßenzüge verkleiden. In der Herstellung stanzt man die Muster entweder mechanisch aus dem ganzen Papier aus oder stanzt sie mit kleinen Stanzeisen aus dem Papier heraus.

42     FOLIE / Häusliche Ofrenda 1

Nachdem nun die gesamten kunstgewerblichen und kunsthandwerklichen Objekte sowie alle Elemente, die auf einer Ofrenda vorkommen und darüber hinaus für das gesamte Totenfest wesentlich sind, beschrieben wurden, darf ich noch einmal auf die Ofrenda als Ganzes zurückkommen. Sie steht entweder im häuslichen Bereich und hat hier genau die Funktion der privaten Erinnerung an den oder die Verstorbenen. Sie ist – wie auf dem Bild zu sehen – mit persönlichen Objekten geschmückt, mit den bekannten roten, gelben und orangen Blumen und Früchten, dem Essen und Trinken, und den Totenfigürchen, die wie eine Weihnachtskrippe zu einer kleinen Szene zusammengebaut wurden.

43     FOLIE / Häusliche Ofrenda 2

Auf diesen beiden Bildern wird die Ofrenda besonders durch Essen und Trinken bestimmt. Kerzen und Rauchwerk stehen zwischen den Fruchtschalen, dem Hünchengericht, dem Totenbrot und der Flasche Tequila und Bier. Für die Rückkehr der Seele ist man hier bestens gerüstet, denn sie sollen auch nur das Beste bekommen. Man will die Freuden und die Erträge des letzten Jahres mit ihnen teilen und drückt so seine Dankbarkeit, Liebe und Verehrung für sie aus. Dazu kommt der Glaube, dass die Toten auch noch im Totenreich bzw. auf ihrem langen Weg dorthin – analog katholischer Vorstellung vom Fegefeuer und Seelenmessen – den Zuspruch un die Hilfe ihrer Familien benötigen. Die Ofrenda wird damit zu einer Raststation auf dem langen Weg in die Ewigkeit, und jeder möchte seinem Verstorbenen die größtmögliche Hilfe angedeihen lassen.

44     FOLIE / Ofrendas Berlin Mannheim

Die Ofrendas im öffentlichen Bereich sind naturgemäß weniger personalisiert und werden auch weniger durch Eß- und Trinkbares, denn durch kunsthandwerkliche Objekte bestimmt. Geschnittene Papiere bedecken ofmals große Flächen und scheinbar hunderte von kleinen Totenschädeln und Totenfigürchen bevölkern die Tischflächen.

45     FOLIE / Ofrenda Wettbewerb

Das Prestige einer prächtigen oder einzigartigen Ofrenda zu besitzen, gibt Wettbewerben um die schönste Ofrenda Auftrieb, zu deren Verwirklichung sich Schulklassen oder Betriebe usw. zusammenfinden. Natürlich kann man sich auch selber eine Ofrenda erstellen. Das ist zum Beispiel mein persönlicher Weg gewesen.

46     FOLIE / CM Ofrenda

Und so steht tausende von Kilometern von Mexiko entfernt eine töpferne Ofrenda, ganz in mexikanischer Tradition, und meiner verstorbenen Tochter gewidmet. Die vielen Häuser und Balkone stehen stellvertretend für die neuen Wohnungen der Verstorbenen. Die beiliegenden Erinnerungsgegenstände tragen desweiteren dazu, an diesem Werk eine dauerhafte Verbindung und Verortung zu spüren. Da auch meine Eltern und Großeltern mit einem Bild dort vertreten sind, wird der Altar über meine Tochter hinaus zu einem Verbindungsort mit allen Verstorbenen, denen ich gedenken will. Man kann diese Ofrenda eventuell mit einem Hausaltar für die Vorfahren vergleichen, so wie er in antiker römischer Tradition bestand.

47     FOLIE / Band der Generationen

Jetzt hat sich der Kreis wieder geschlossen. Am Anfang fragte ich, was das mexikanische Totenfest so faszinierend mache und wo wir an das Bunte und Exotische anknüpfen können, uns mitnehmen lassen in eine Tradition, bei der wir zuerst nur von der Seite interessiert zuschauen, ohne wirklich im Inneren berührt zu sein. Mit den Bildern, die ich Ihnen zeigen durfte, wurde es hoffentlich etwas näher gebracht. Es ist die Erinnerung an das Band der Generationen, an diejenigen, denen wir unsere Herkunft, unsere Traditionen, die Geschichten, unser ganzes Leben verdanken, auf die wir mit Liebe mit Dankbarkeit zurückschauen sollten, weil es das Band ist, das uns als Menschen zusammenhält. Das ist meines Erachtens grandios; dieses Fest macht uns unvermittelt klar, wir sind nicht aus uns selbst erschaffen, und wir dienen zur Zeit denjenigen, die nach uns kommen.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Totenfest!