TOM Medienpreis / Deutscher Kinderhospizverein

Bei der Verleihung des TOM Medienpreises wurde die Laudation zur Kategorie „Film“ von Claus Maywald vorgetragen.

Der Link: https://www.deutsche-kinderhospizstiftung.de/veranstaltungen/tom-medienpreis-veranstaltungen

Laudatio „TOM — der Medienpreis für Journalisten“

| Dr. Claus Maywald
03.09.2021 in Düsseldorf

Kategorie Film:

„Keine Zeit für Tränen – Eltern von krebskranken Kindern“

Begleitung von zwei Familien über ein Jahr
Von Anabel Münstermann
Zwei Familien — zwei lebensgefährdend erkrankte Kinder — Geschwisterkinder, Elternpaare und das Leben ohne Normalität. Über zwei Jahre lang immer wieder kurze Einblicke, ein Blick auf Abläufe und Routinen. Anteilnahme ist möglich, ohne aufdringlich zu sein — man kann verstehen und mitschwingen. Es ist die stimmige Distanz und Nähe, die der Film einhält und vermittelt.
Beide Schicksale sind im Schnitt gut zusammengefügt, die Unschärfen im Bild lassen den umso schärferen Blick auf die Worte zu. Denn es sind die Sätze in den Bildern, die viel an Tiefe geben, das Unnormale im scheinbar so klaren Ablauf sichtbar machen. Zitate der Eltern: „Normale Familienzeit, all das gibt es nicht mehr.“ Und: „Die Krankheit hat jede Sicherheit erschüttert.“
Die „Ausnahmesituation“ findet in Bildern und Worten ihr Abbild.
Der Blick der Eltern steht im Fokus, wir werden eingelassen in eine Welt, in der „sämtliche Uhren anders ticken“, weil man nicht mehr weiß, „wieviel Zeit“ eigentlich noch „bleibt“. In der Zeit, in der Überleben und Funktionieren im Vordergrund steht, werden Eltern in ihrem Kampf um ihr Kind
dargestellt. Aber gleichzeitig auch in ihrem Kampf um die Geschwisterkinder, um ihre eigene Beziehung und die Familie insgesamt. Vielleicht auch um ihre Sicht auf die Welt.
Das reicht von „Reden geht nicht immer“ bis zu dem „Wir probieren zusammen zu halten“.
Von „das Grundvertrauen“ muss erhalten und „geschaffen“ werden bis zu dem „die Kinder müssen verzichten.“ Die lebensbedrohliche Krankheit eines Kindes reicht aus, alle aus der Bahn
zu werfen. Der Film lässt davon nichts ungesehen und unausgesprochen, kein Bereich
wird außen vorgelassen.
Ja, die Geschwister sind Mitbetroffene, weil sie miterleben und mit leiden.
Ja, die Eltern kämpfen um ihre Gemeinsamkeiten und, ja, alle schauen, wie sie als Familie zusammenhalten können. Die Fliehkräfte werden deutlich.
„Wir wollen mal hoffen:“ sagen die Eltern. „Allen Kindern gerecht zu werden“ so der Vater von Leonie, aber wie, „wenn die Gedanken immer wieder um das kranke Kind kreisen.“ Wenn die lange Spritze dem Fabio in den Rücken gestochen wird, spüren wir, was er meint. Der Film ist das Bild des „Wie“. Man sieht das Bemühen der Eltern: bunte Lampions werden oben im
Baum befestigt, während gleichzeitig die schwarze Angst in den Herzen sitzt. Keine Zeit für Tränen bedeutet, Zeit haben, um Erlebnisse zu schaffen, „die Zeit, die man hat, zu genießen.
Wenn es die Situation zulässt, alles so zu machen wie früher“ — so es denn möglich ist. Und dann gehen wir mit nach Paris oder in die Schule. Dann erleben wir Pause und normales Essen, hören in der Schule die Fragen und Antworten der Mitschüler. Hinter all dem immer wieder das Aufblitzen einer möglichen, undenkbaren und unerträglichen Zukunft. „Da rollt auch manch eine Träne“ sagt der eine Vater, und der andere schluckt, wenn er davon spricht, seine Tochter vielleicht bald am Grab zu besuchen. Diese Zukunft, das, was wir gerade eben erfahren haben, wird im Film nicht vertieft, kann nicht vertieft werden. Denn das wäre eine andere Zeit, eine Zeit, von der man normalerweise gar nicht weiß, dass es sie gibt — für die Eltern ist sie unwirklich, so wie der Tod eines Kindes unwirklich ist. Sie wären aus der Zeit gefallen, sie standen in der damaligen Situation noch davor mit der Hoffnung, diesen Weg nicht gehen zu müssen.
Keine Zeit für Tränen heißt daher noch zu leben, keine Zeit vergeuden, die nicht aufs Überleben ausgerichtet ist.
Keine Zeit für Tränen, der Film spricht es aus:
„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhabenunter dem Himmel hat seine Stunde:
Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, suchen hat seine Zeit, schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
Friede hat seine Zeit.“

Anabel Münstermann und ihrem Team ist gelungen, einen Teil davon in Bild und Wort zu fassen.
„Gratulieren hat übrigens auch seine Zeit.“