01 Juli
Text von Anna Pitellos „Zurücklassen“
Eine Auseinandersetzung mit den Folgen von Laras Tod.
Zurücklassen
Ja das verdammte Zurücklassen. Diese Hinterbliebenen, die wie geschmolzener Schnee in den Pfützen der Straße liegen und auf ein Fünkchen Sonne warten, um endlich von dem verdammt verschmutzten Boden wegzukommen. Diese VERDAMMTEN Tage des VERDAMMTEN Weiterlebens. Wie halbtote Leichen schleicht man umher, um ja nicht das WEITERLEBEN zu verpassen. Manchmal verfällt man auch in einen Rausch des Arbeitens, der Ablenkung, der Pausenlosen Nutzung jeder Minute- nein jeder Sekunde- des Tages nur um Weiterzuleben. Atmen. Essen. Weiterleben.
Ja es heißt sicher bewusst nicht nur LEBEN. Es heißt weiterleben. Weiterleben wie eine Ruine. Wie ein zerfallenes Haus, von dem man nur noch die Grundstruktur erkennt es aber eigentlich nicht mehr nutzen will. Weiterleben wie ein von Müll und Abfall verseuchtes Meer. Weiterleben, wie jemand, der jemanden verloren hat, den er sehr liebt.
Dieser Text handelt nicht vom Tod oder vom Sterben. Das tritt einfach urplötzlich ein. So plötzlich, dass man sich an dem Moment zwischen Leben und Sterben nicht einmal erinnert. Wie, dass man sich nicht an das Einschlafen erinnert. Nur manchmal an den Traum danach und den Tag davor. Wenn man stirbt holt einen der Tod ab. Er nimmt einen liebevoll in die Arme und trägt einen sanft davon an einen Ort an dem keine Zeit existiert.
Aber was ist mit den Leuten, die zurückbleiben? Die vorhatten diese „Zeit“ zu genießen? Was ist mit den Hinterbliebenen „Leichen“? Was ist mit der Zeit, die man verloren hat? Kann man eine Zeit verlieren, die man nie hatte?
Dieser Text handelt vom Leben. Vom Weiterleben. Von dem Leben, das jeder hat und nutzt. Egal, was wir tun. Wir leben… weiter, weil wir weiter leben müssen. Weil die einzige Möglichkeit des „Nicht-Lebens“ das „Sterben“ ist. Und wenn wir sterben verpassen wir das Leben. Das Leben, das wie ein stiller Hurrikan um uns herum schwebt und uns mitreißt. Das Leben, das einer beschränkten Ewigkeit gleicht und uns zur selben Zeit unendlich viele Möglichkeiten gibt wie es uns Hindernisse vor die Füße wirft. Wir nehmen sie mit und leben damit oder wir lassen sie einfach liegen und vergessen sie. Manchmal schlagen wir auch einfach wieder einen neuen Weg ein. Aber es kommt nicht darauf an, wie das Leben aussieht. Es kommt darauf an, wie wir leben. Denn es muss nicht „weiter“ leben heißen, es kann auch nur „leben“ heißen. Wir leben nicht, weil wir leben müssen, sondern, weil wir leben wollen. Wir nehmen Hindernisse mit, um sie in Rosen zu verwandeln, damit wir etwas Schönes mitzunehmen haben. Und auch, wenn uns die Dornen manchmal stechen und wir wieder vor ein Hindernis stoßen, leben wir weiter und sammeln die Erinnerungen der Zeit, die uns bleibt.
Anna Pitellos Juli 2014