01 Okt
Sterben, Tod und Trauer im Kinderbuch
Der Artikel von Claus Maywald und Kerstin Franz wurde veröffentlicht in: frühe Kindheit, Heft 1/2012 Kinder und Tod, Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft e.V. (Hrsg), S.60-64
Kinderbücher zum Thema Sterben, Tod und Trauer liegen im Buchladen normalerweise nicht sofort sichtbar aus. Es gibt sie aber – und zwar vielfältig und gut. In der Regel wird in ihnen mit den Themen sehr sensibel und einfühlsam umgegangen. Dazu vermitteln sie ihre jeweilige Sicht auf den Tod und das Leben, auf das Sterben und die Trauer.
Im Folgenden werden insgesamt zwölf Kinderbücher zum Thema vorgestellt. Bei der Auswahl der Titel haben wir uns von vier Kriterien leiten lassen:
– Die Bücher sollten altersgemäß sein, d. h. die kognitiven Möglichkeiten der Kinder berücksichtigen.
– Bilder und Texte sollten keine Angst auslösen, sondern Ehrfurcht und Respekt vor dem Leben und Sterben vermitteln.
– Sie sollten das Thema in Sprache und Bild ehrlich und offen und nicht zu indirekt behandeln.
– Die Bücher sollten ideologisch und religiös offen sein bzw. ihre spezifische Orientierung von vornherein deutlich machen.
Ulf Nilsson und Eva Eriksson Die besten Beerdigungen der Welt Moritz Verlag 2006
Kinder finden tote Tiere und gründen im Spiel ein Beerdigungsinstitut. Dabei machen sie ihre ersten Erfahrungen mit dem Tod. Die Kinder stellen fest, dass die ganze Welt voll von Toten ist und dass alle sterben müssen. Und jemand muss sich um die Toten kümmern.
Jürg Schubiger und Rotraut Susanne Berner Als der Tod zu uns kam Peter Hammer Verlag 2011
Ohne den Tod bleibt alles heil in der Welt. Erst als er ins Dorf kommt, wird es anders. Seine Unvorsichtigkeit verursacht ein Unglück nach dem anderen. Darüber ist er selber traurig, aber er kann es nicht ändern. Der Tod kommt in eine Welt, die bis dahin unveränderbar vor sich hin lebte. Er ist der Tollpatsch, der alles zerbricht und bis zum Tod ins Unglück stürzt. Er hat aber auch Mitleid und weint über seine Taten. Er kann sie nicht erklären, er hat „eigentlich keine Ahnung“. Als er geht, lässt er Leid, Mitleid und Trost in der Welt. Das Leben und der Tod sind ein unzertrennbares Paar. Der Tod komplettiert das Leben.
Glenn Ringtved und Charlotte Pardi Warum, lieber Tod…? Rößler Verlag 2002
Der liebevolle und tröstende Tod erzählt vier Kindern, deren Großmutter im Sterben liegt, eine Geschichte. Darin stellt er dar, dass das Leben so zum Tod gehört wie der Tag zur Nacht, denn das eine kann nicht ohne das andere sein. So erkennen die Kinder, dass sie den Gang des Lebens nicht stören dürfen. Der Tod ist mitfühlend und tröstend, sein „Herz schlägt rot wie der schönste Sonnenaufgang und in tiefer Liebe zum Leben“. Ohne den Tod ist das Leben nicht viel wert. Er ist nicht der böse schwarze Mann, sondern er hat Mitleid mit den Lebendigen. Sein Herz schlägt in „tiefer Liebe zum Leben“.
Wolf Erlbruch Ente, Tod und Tulpe Antje Kunstmann Verlag 2007
Die Ente bemerkt den Tod. Dieser begleitet sie während ihrer letzten Zeit und redet mit ihr über Leben und Sterben. Auf ihre Fragen gibt er jedoch keine klaren Antworten. Der Tod ist der fürsorgliche und mitfühlende Begleiter im Leben. Er bringt die Verstorbenen zu „dem großen Fluss“, in die er sie hineinlegt. So wird der Tod als Person zum liebevollen Begleiter durch das Leben.
Kitty Crowther Der Besuch vom kleinen Tod Carlsen Verlag 2011
Der Tod ist eine reizende kleine Person, aber niemand weiß es. Die Menschen fürchten sich vor ihm, obwohl er sich liebevoll um sie kümmert. Erst als er das Mädchen Elisewin holt, ändert sich das. Sie hat keine Angst vor ihm. Als sie in ein anderes Leben aufbrechen muss, kommt sie als Engel zu ihm zurück. Von da an holen sie gemeinsam die Menschen ab, denn „wenn die Menschen das Gesicht eines Engels sehen, haben sie keine Angst mehr vor dem Sterben“. Die Maske des Todes kann durch die Begleitung eines Engels verdeckt werden, so dass sich keiner mehr erschrecken muss.
Hermann Schulz und Tobias Krejtschi Die schlaue Mama Sambona Peter Hammer Verlag 2007
Die Königin der afrikanischen Insel Ukerewe, Mama Sambona, steht auf der Liste des Todes, der sie abholen will. Als Vorboten schickt er seinen Hasen, der sie aber nicht antrifft. So muss sich der Tod selber aufmachen. Doch Mama Sambona kennt sich mit dem Tod aus. Sie ist immer mit etwas beschäftigt, was den Tod hindert, sie mitzunehmen. Beim dritten Mal feiert sie ein großes Fest und tanzt so lange mit dem Tod, dass er alles andere darüber vergisst. So lebt Mama Sambona immer noch. Der Tod führt eine Liste der Menschen, die sterben werden. Allerdings gibt es Regeln, an die auch er sich halten muss. Wer die Regeln kennt, kann seinen Tod verschieben.
Ulf Nilsson und Anna-Clara Tidholm Adieu, Herr Muffin Moritz Verlag 2010
Herr Muffin ist ein altes Meerschweinchen, das bald sterben wird. Er erinnert sich an sein erfülltes, langes Leben. Zusätzlich bekommt er Post von dem kleinen Mädchen, bei dem er wohnt. Sie schreibt ihm liebe Briefe und setzt sich darin mit dem Tod auseinander. Als Herr Muffin gestorben ist, wird er in einer schönen Kiste im Garten beerdigt. Nach einem glücklichen Leben kommt der Tod für Herrn Muffin entweder als „Schlaf“ und „Ruhe“, oder „man kommt irgendwohin, zu einem ewigen Leben, und da ist man glücklich“. Es gibt also keinen Grund, Angst vor dem Sterben zu haben. Vielleicht kann man sich sogar freuen.
Susan Varley Leb wohl, lieber Dachs Annette Betz Verlag 2009
Der alte Dachs fühlt seinen Tod kommen und stirbt. Seine einzige Sorge war, wie seine Freunde seinen Tod aufnehmen würden. Diese vermissen den Dachs. Jedes Tier bewahrt eine besondere Erinnerung an ihn, die er ihnen als „Geschenk“ hinterlassen hat. Wenn man stirbt, geht man durch einen langen Tunnel und fühlt sich frei. Die Erinnerungen an den Verstorbenen sind seine Abschiedsgeschenke an die Lebenden.
Udo Weigelt und Cornelia Haas Die Königin und ich Sauerländer Verlag 2011
Ein kleines Mädchen ist sterbenskrank und wird nicht mehr lange leben. Die Königin, zu der alle sterbenden Kinder kommen, besucht sie schon und spielt mit ihr. Sie kümmert sich auch um die Sorgen des Kindes und verspricht, sich „um Mama und Papa zu kümmern.“ So fällt dem Mädchen der Abschied vom Leben leichter.
Heike Saalfrank und Eva Goede Abschied von der kleinen Raupe Echter Verlag 2010
Die Geschichte von der Freundschaft zwischen einer Raupe und einer Schnecke beschreibt den Tod der Raupe als „Verlust“ nach deren Metamorphose zum Schmetterling. Nachdem die Raupe bemerkt, dass sie sich verändern wird, verschwindet sie am nächsten Morgen. Eine alte weise Schnecke erklärt der zurückgebliebenen traurigen Schnecke, dass ihre Freundin gestorben ist und sich jetzt an einem anderen Ort befindet, an dem es ihr gut geht. Der Tod wird als Verwandlung, als Übergang zu einer anderen Daseinsform, gesehen.
Ulf Stark und Anna Höglund Meine Schwester ist ein Engel Carlsen Verlag 1997
Ulfs Schwester ist vor der Geburt gestorben und damit ein Engel. Aber für Ulf ist die Schwester noch lebendig – er kann sie sehen, mit ihr reden und seinen Spaß haben. Da er wissen will, wie sie aussieht, wünscht er sich eine Perücke. Mit ihr und einem roten Kleid verkleidet will er ihr sein Leben zeigen, alles, was sie sehen und erleben sollte. Der Kontakt zwischen den Lebenden und den Toten muss nicht abreißen. Wenn man will und einfühlsam ist, kann man den Verstorbenen sehen, mit ihm reden und „seinen Spaß“ haben.
Philippe Goossens und Thierry Robberecht Eva im Land der verlorenen Schwestern Sauerländer Verlag 2004
Evas Schwester ist verstorben. Sie durchlebt die Zeit der Trauer mit ihren Gefühlen und Erinnerungen, bis die Schwester einen Platz in ihrem Herzen gefunden hat. Die Zeit der Trauer wird als eine Zeit gesehen, in der man wie in einem eigenen Land lebt, mit all den widersprüchlichen Stimmungen und Vorstellungen. Denn dort darf man traurig sein. Die Trauer nach dem Tod ist eine Zeit mit eigenen Gesetzen und Spielregeln. Dabei wird man von seiner Umwelt nicht immer ganz verstanden. Doch man hat ein Recht auf das Traurigsein. Die Trauerzeit hat ihre eigene Zeit.
Die ausgewählten Bücher sind von ihrer Herangehensweise, Sprache und Illustration Kinderbücher, aber nicht vom Thema. Auch Erwachsene beschäftigen sich mit Fragen von Leben und Tod. Wenn Kinderbücher ihnen dabei helfen können, umso besser. Denn die Themen Sterben, Tod und Trauer sind für viele große und kleine Menschen mit Ängsten besetzt. Weil jeder Mensch in seinem Leben mit diesen Themen zwangsläufig konfrontiert wird, sollte er sich in einer für ihn gerechten Weise darauf einlassen und vorbereiten.
Kinder dürfen mit ihren Fragen nicht alleine gelassen werden, da sich andernfalls Ängste und Vorstellungen entwickeln können, die dem Kind weitaus mehr zu schaffen machen als die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Über Bücher können wir mit Kindern ins Gespräch, in einen Dialog kommen – zu Hause, in der Kita, in der Schule. Im Hospiz, wo das Thema ganz aktuell auf der Tagesordnung steht, unterstützen Bücher die Trauerarbeit mit den Kindern.
Es hängt von der Initiative und vom Mut der Erwachsenen ab, sich auf die Themen Sterben, Tod und Trauer mit Kindern einzulassen. Auch im Alltag kommen Verlust und die damit verbundene Traurigkeit häufiger vor, als wir manchmal denken. Ein totes Haustier, ein überfahrener Igel auf der Straße, der verstorbene Nachbar – häufig gibt es viele Fragen, die wir mit Hilfe von Büchern gemeinsam mit den Kindern angehen können. Wenn ein Buch zusammen angeschaut, vorgelesen, nacherzählt und darüber philosophiert wird, spüren die Kinder Geborgenheit und erfahren Wertschätzung und Hilfe für ihre Probleme. Sie fühlen sich mit ihren Fragen ernst genommen und spüren: Ich bin nicht allein.
Über das Lesen von Büchern hinaus können Gespräche über Sterben und Tod das Kind anregen, seine eigene Geschichte zu dem Thema zu erzählen und damit „etwas los zu werden“. Ältere Kinder werden auch dazu angeleitet, ihre Geschichte niederzuschreiben und sich selber den wichtigen Fragen zu stellen: „Wie ist das bei mir mit der Trauer? Mit meinen Gefühlen? Wie habe ich Sterben und Tod erlebt? Was war mir wichtig?“ Bücher ergänzen und unterstützen die Imagination der Kinder und führen sie in eine Richtung, welche die Auseinandersetzung mit Sterben, Tod und Trauer in positiver Weise fördert.
Dr. Claus Maywald ist Kunsthistoriker in Mainz. Er ist Vater von Lara, die 2011 im Alter von sechs Jahren an einem Hirntumor gestorben ist.
Kerstin Franz ist Erzieherin und Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche im Kinderhospiz „Bärenherz“ in Wiesbaden.