01 Dez
Rede von Claus Maywald am 14.12. 2014 im Museum für Sepulkralkultur in Kassel anlässlich des „Tags der verstorbenen Kinder“ (Worldwide Candle lighting) und der Präsentation seiner Bilder im Museum
Bilder von Claus und Lara Maywald waren vom 14.12. 2014 bis 15.3. 2015 im Museum zu sehen. Die Präsentation der Arbeiten erfolgte im Zusammenhang mit dem „Tag der verstorbenen Kinder“.
Die Rede von Claus Maywald:
Sehr geehrter Prof. Sörries, Sehr geehrter Herr Eppler, Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bedanke mich ganz herzlich für die Ehre, hier und heute vor ihnen reden zu dürfen. Ich bedanke mich für die Gelegenheit, mit ihnen direkt und über meine Bilder an diesem Tag in einen Dialog treten zu können. Es ist ein besonderer Tag, und es sind bei mir sehr gemischte Gefühle, die mich heute an diesem Tag und hier an diesem Ort erfassen. Es ist zum einen die Trauer um meine jüngste, gerade einmal sechsjährige Tochter Lara, die vor gut drei Jahren gestorben ist. Zum anderen erfüllt mich Dankbarkeit, vor Ihnen zu stehen und diesen Namen, Lara, so offen auszusprechen. Dann wiederum empfinde ich Mitgefühl mit den vielen Anderen, die Ähnliches wie meine Familie, wie wir, erleben mussten. Dann ist es wieder ein Gefühl von Glück, diese Tochter gehabt zu haben, und zu sehen, was in dieser kurzen Zeit, in diesen sechs Jahren ihres Lebens und dann darüber hinaus, so alles gewachsen ist. Und zu guter letzt mischt sich darin noch die Freude und Erleichterung, mit Ihnen über meine Bilder kommunizieren zu können. Denn dann stehe ich offensichtlich nicht mehr mit meinem Schicksal alleine, sondern reihe mich in die große Kette derer ein, die heute ihrer Kinder gedenken, „die in ihrem Herzen leuchten.“ Ich bin froh, unter Ihnen sein zu dürfen.
Mit diesem „inneren Cocktail der Gefühle“ will ich mich jetzt auf die Bilder konzentrieren. Sie sind ein Ausdruck meines Weges durch die Trauer, eine Erinnerung an Gefühle und Zustände. Sie haben mich als Bilder in meinen Kopf für eine lange Zeit begleitet, bis ich sie auf das Papier bringen konnte, und zwar jedes Motiv, eines nach dem anderen. Sie waren mein Gegenüber, ein Spiegel meiner Seele auf einem Weg, der mir an jeder Stelle unbekannt war. Und obwohl ich sie für mich gemalt habe, genauer gesagt, malen musste, waren sie auch für die Augen der Anderen gedacht. Meine Bilder sind Sprache für das, was ich nicht so klar in Worte fassen kann. Mit ihnen kann ich wenigstens etwas anzudeuten, versuchen mein Gegenüber in meine Welt mit zu nehmen, ihm eine Chance zu geben, mich zu verstehen. Der analytische Blick auf die Bilder wird gewiss schnell erkennen, wie gut sie sich in die theoretisch-wissenschaftliche Analyse des Trauergeschehens einordnen lassen. Es bedarf wenig Phantasie, sie in den Kontext der Traueraufgaben zu fügen.
Das chronologisch erste Bild, 2011 noch im Hospiz entstanden, trägt den Titel „Die Hände“. Es entstand aus dem Druck heraus, das Thema des sich ankündigenden Todes unserer Tochter an mich heran zu lassen. Es ist die Darstellung einer abstrakten Übergabe des „Lebenslichtes“ von der einen zur anderen Seite. Während die linke Seite in den roten, orangen und gelben Tönen an eine Sonne und damit an das aktive Leben erinnert, verweisen die schwarzen und blauen Töne auf den Mond, der auch im Kreisrund dieses Bildabschnitts zu sehen ist. Getragen wird das Ganze von einem grün und braun gehaltenen Untergrund, der sich durch das ganze Bild hindurch zieht. Gesichter sind auf beiden Seiten in die organisch-ornamentalen Strukturen eingearbeitet worden und sollen die Vorfahren symbolisieren. Die Übergabe selber ist in einen großen Halbkreis gelegt, in der nur die beiden Hände und das Rund des Lebenslichtes hineinragen.
In der Rückschau wirkt das Bild wie die Darstellung der Annäherung an das kommende Schicksal. Es hat noch die Ansicht eines im Wesentlichen geistigen Prozesses. Im Bild ist das kommende Schicksal in seiner ganzen Härte noch nicht wirklich angekommen.
Das zweite Bild „Das Leben“ entstand 2011 ebenfalls im Kinderhospiz. Der Tod der Tochter rückte näher und wurde greifbare Realität. Damit war auch die abstrakte Vorstellung des Verlustes durch eine konkretere zu ersetzen. Das Skelett auf der rechten Seite verdeutlicht am besten diesen Wandel. Die Komposition wird durch eine vertikale Einfügung mit Wirbeln, Uhren und Efeu in zwei Teile getrennt. Dieser mittlere Bereich symbolisiert die Zeit, die das Leben bestimmt. Das Auge im Zentrum dieses Abschnitts schaut dabei in Richtung des Skeletts. In der linken Hälfte sind das Gesicht und der Oberkörper einer jungen Frau in die kreisförmig angeordneten organisch-ornamentalen Strukturen eingearbeitet. In der rechten Hälfte liegt ein Skelett auf einer nach unten geneigten Ebene. Beide Seiten sind mit hellen Farben ähnlich gehalten. In die Komposition sind vereinzelt Elemente aus dem Leben von Lara (wie zum Beispiel der kleine Heißluftballon) oder bildhafte Elemente von Abschied (Schiff und Sonne mit Wolken) eingestreut.
Das dritte Bild „Der Fall“ entstand im Jahr 2012 nach dem Tod der Tochter. Es ist die Darstellung der Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Haltlosigkeit, des Fallens und Schwebens. Die von unten angerissene Figur bestimmt dabei die Komposition. Sie ist in die das ganze Bild von oben nach unten durchziehenden und sich miteinander verschlingenden Bänder eingearbeitet. Über der Figur steht eine mittelalterliche Totenlaterne, die wie ein Leuchtturm zu beiden Seiten ihre Strahlen ausschickt. In die untere Hälfte des Bildes sind jeweils an den Rändern kleine Szenen aus dem Leben eingefügt. Sie symbolisieren das Gefühl des Vorübergleitens am Leben. Das Bild war am Anfang von meiner Meinung begleitet, damit die eigene Trauer darzustellen. Aber es war nicht die Trauer, sondern der Schwebzustand davor. Nach einigen Wochen wusste ich, dass die Trauer etwas ganz anderes ist und daher einen anderen Ausdruck zu bekommen hatte.
Das vierte Bild „Die Trauer“ entstand am Ende des zweiten Jahres nach dem Tod unserer Tochter. Die Trauer war angekommen und es war ein mächtiges, lebensbestimmendes Gefühl. Dementsprechend wurde das Bild mit vier mal ein Meter wesentlich größer als die übrigen und die ganze Fläche wurde fas vollständig ausgefüllt. Die Komposition liest sich von links nach rechts. Sie wird aber auch durch den „Riss“ in der Mitte in zwei Teile geteilt. Die beiden Gesichter am linken Rand haben ihre Münder weit geöffnet und schreien ihren Schmerz heraus. Er ergießt sich in schwarzen und blauen Strukturen bis fast zur Mitte. Darunter stehen lila gehaltene Leuchttürme vor gelbem Himmel. Sie verweisen auf die Orientierungen, die benötigt werden. Der Riss mit seinem Zentrum im zentralen Kreis steht für das Unüberwindbare und endgültige Abgetrennt-Sein. Hier ist auch bildlich die Lebensschnur durchtrennt Rechts neben dem Riss versucht eine Hand vergeblich, etwas zurückzuhalten. Die dahinter aufgebaute trennende Struktur macht die Endgültigkeit und die Vergeblichkeit deutlich. Die rote Farbe verweist auf das Blut und den Schmerz, ebenso wie die vielen tränenförmigen Strukturen. Dahinter und angebunden an die Lebensschnur rollt sich eine Hand ein. Das abgetrennte Leben erlischt. Die große braune Wolkentür und die darunter liegende und sich bis an den rechten Rand erstreckende Burg verweisen auf ein Jenseits, das wir im Leben nicht durchschauen oder gar bewohnen können. Als weitere Symbole der Trauer sind eine Bank und ein See in schwarz und lila am unteren Bildrand zu sehen.
Neben dem Zyklus, an dessen fünften Bild ich gerade arbeite, gibt es ein weiteres und auch letztes Bild, das ich Ihnen vorstellen darf. Es ist das Sekundenbild. Es steht mit seinen über acht Meter Länge und 1 Meter 60 Höhe als Solitär im Raum. Inhaltlich sind alle Sekunden eines Tages in Art einer digitalen Uhr in langen Reihen untereinander mit der Hand geschrieben worden, insgesamt 86400 Zeilen. Es erscheint wie eine „kaum überschaubare“ Reihe, und die Zeilen suggerieren eine Fülle an Zeit, die uns an nur einem Tag zur Verfügung steht. Schnell kann dieser Tag zum Symbol des ganzen Lebens werden, werden die Minuten und Stunden zu den Etappen des eigenen Lebens. Mit der durchschnittlichen Lebenserwartung ausgestattet, lässt sich ablesen, auf wie viel Uhr die eigene Lebensuhr steht. Und wenn uns der Anfangspunkt kaum erschreckt, sondern als Urknall unseres Lebens den mehr oder minder fröhlichen Beginn markierte, so sehen wir doch mit anderen Gefühlen auch das Ende, die unerbittlich letzte Stunde, Minute und Sekunde. Sie sehen diese Zeit wirklich, wenn Sie sich auf die Symbolik des Bildes einlassen.
So wirkt es in zwei Richtungen: zum einen macht es uns die Fülle deutlich, zum anderen weist es auf die Endlichkeit hin. Stehe ich davor und schaue auf die vielen Linien, so habe ich das Gefühl, aus dem Vollen schöpfen zu können. Versuche ich aber zu verstehen, an welchem Punkt meines Lebens ich gerade stehe, dann ist es doch manchmal ziemlich spät – und wer weiß, vielleicht bin ich schon in der letzten Stunde, und weiß es nur noch nicht. Auf den heutigen Abend bezogen, haben wir es bei vielen unserer Kinder auch nicht gewusst.
Zum Abschluss darf ich noch einmal an die Anfangsworte anknüpfen und Ihnen sagen, wie es für mich ist: …und es ist gut, da mein Weg bis hierher, bis heute und in dieser Sekunde, mit all seinen Kurven und Geraden, den harten engen Steigungen und den sanften, breiten Wegen ein guter Weg war. Denn ich möchte nicht hinter die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse zurück, ist mein guter Weg nur im Ganzen ein Weg. Aber in diesem „gut“ liegt keine sanfte Beruhigung, es ist nicht gut in dem Sinne, dass ich mit dem Verlust von Lara einverstanden bin, dass ich mich damit abgefunden habe. Denn alles liegt nicht im Gestern, sondern im Heute. Und es zählt immer wieder genau jetzt.
Es zählen die Kerzen, die wir bald zusammen mit tausenden von anderen Menschen um die gleiche Uhrzeit anzünden werden, es zählen die Erinnerungen an und die Verbindungen mit unseren verstorbenen Kindern, es zählen ihr und unser Lachen, aber auch die Tränen. Es ist unsere gemeinsame Zeit.
Vielen Dank!