„Ostraka“ – eine Präsentation von Claus Maywald im Museum für Sepulkralkultur in Kassel

Die Texte sind nicht einfach zu entziffern. Was hier auf schwarzer Holzkohle liegt, sind Tontafeln. Worte und Sätze geben sich zu erkennen. Manches ist bekannt, anderes lässt freie Assoziationen zu.„Du bist überall dabei und fehlst immer“. Die Texte sind Gedichten entnommen, die sich mit Sterben, Tod und Trauer beschäftigen.

Claus Maywald Ostraka

 

Claus Maywald Ostraka

Und so wie der Tod eines geliebten Menschen in unserem Leben etwas zerbricht, so sind auch die Gedichte auf den Tonscherben „zerbrochen“. Auf ihnen stehen Teile ehemals ganzer Texte. Damit gleichen sie Erinnerungsstücken oder Gedankenfragmenten. Sie lassen etwas in uns anklingen. Die wenigen lesbaren Zeilen können die restlichen Worte vielleicht aus der Erinnerung wieder hervorrufen oder unsere Fantasie anregen und uns in eigenen Worten und Gedanken weiterlesen lassen.

Die Auswahl der Gedichtfragmente ist nicht zufällig. Sie beschäftigen sich im weitesten Sinn mit der menschlichen Endlichkeit. Auf die Tonscherben übertragen, bekommt deren äußere Form ebenfalls den Charakter von Endlichkeit. Alles zerbricht zu seiner Zeit. Im Altertum bezeichnete man mit Ostraka schriftliche Worte oder Texte auf      Tonscherben. Sie wurden an Stelle des teuren Papyrus für Notizen und kurze Texte benutzt. Damit wird auch der Name „Ostraka“ der Installation verständlich. Er zeigt auf schriftliche Nachrichten, die vor langer Zeit hinterlassen und jetzt gedeutet werden, er zeigt auf das Fragmentarische des Schriftträgers und auf die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz. Ostraka sind archäologische Objekte – die Installation der „Ostraka“ hingegen ist ein „Ausgrabungsort“ seelischer Fundstücke fragmentarischer Gedanken und Befindlichkeiten. Und so wie die realen Objekte unter großen Mühen aus dem Boden gegraben werden, so graben wir in den tiefsten  Momenten unserer Existenz nach Worten, die uns Halt geben können. Für die Herstellung der „Ostraka“ wurden zuerst alle Textzeilen von Hand in Blei gesetzt und gedruckt. Danach wurden die Zeilen in Ton abgenommen, eingefärbt und gebrannt. Von den 100 ausgewählten Gedichtfragmenten existieren immer nur drei „Ostraka“. Aus der ersten Serie der 100 Fragmente gestaltet sich die große Installation auf einer quadratischen Platte. Sie hat den visuell stärksten Bezug zu Vergänglichkeit und archäologischer Fundsituation. Ein kleiner Teil der zweiten Serie der Fragmente liegt einzeln auf mit Holzkohle gefüllten Rahmen. Parallel zu diesen Arbeiten sind von einigen Tonplatten Fotos an ausgewählten Orten entstanden, die den Aspekt der Vergänglichkeit in die uns umgebende Wirklichkeit einbringen.

Claus Maywald Ostraka

Claus Maywald Ostraka

Claus Maywald Ostraka

Claus Maywald Ostraka

Claus Maywald Ostraka

Claus Maywald ist qualifizierter Sterbe- und Trauerbegleiter, promovierter Kunsthistoriker, Diplom-Pädagoge, gelernter Buchbinder und Buchrestaurator sowie freischaffender Künstler

Rainer Huth ist Druckermeister und freischaffender Fotograf