01 Mrz
Musik: Reinhard Mey: Friedhof
über www.youtube.de abrufbar
Ich geh gern in einer fremden Stadt
auf den Friedhof
so ein Friedhof hat etwas Gastfreundliches
und steht allen offen:
Manchen nur für seine Mittagszeit
manchem für die ganze Ewigkeit
und Du hast schnell n’en Gesprächspartner getroffen.
Insel im Meer der Geschäftigkeit
Blumengarten der Gelassenheit
sinnigerweise vom Lebensbaum umgeben
zeig mir Hochmut und Vergänglichkeit
tröste mich und mach den Blick mir weit
für den Wert der Dinge
an denen wir kleben.
Jede Grabinschrift und jeder Stein
erzählen mir in Gräberlatein
von den Unvergess’nen
die zu früh entschweben.
Jede Plasteblume, die da sprießt
jede Primel die kein Schwein mehr gießt
kann mir was erzählen
von denen die noch leben.
Ich seh mir die Jahreszahlen an,
manchmal kommt er früh der Sensenmann
manchmal trödelt er herum der alte Mäher.
Geh nur Deiner Wege sagt er mir
einmal enden sie doch alle hier
und Du siehst ja die Einschläge kommen näher.
Ich sitz gern auf einer Friedhofsbank
seh die schattigen Alleen entlang
und denk nach
übern den tief‘ren Sinn der Reise.
Mit dem schicken Laptop auf den Knien
blätter ich von Termin zu Termin
und wenn wichtig davor steht
kicher ich leise.
Kann ja sein ich verpaß‘ grad den Tanz ums goldene Kalb
aus der Distanz
wird nicht jedes „dringend“ und „eilt sehr“ beachtet.
Es ist nichts von dem man denkt
dass die ganze Welt von abhängt
wichtig, von einer Friedhofsbank aus betrachtet.
Heute macht sich schon manch Junger krumm
für n’en Platz im Altersheim
darum geh‘ ich nur konsequent einen Schritt weiter:
Mach mich schon mal mit dem Platz vertraut
an dem man mich eines Tags verstaut
und geh an den Job zurück
gelöst und heiter.
Aufgeräumt und quicklebendig
kehr ich heim in das Leben ringsumher
les‘ im Geh’n die Inschrift auf der Friedhofsmauer.
Die Lektion die sie mich schweigend lehrt
ist die grad geschwänzte Sitzung wert
jedes Ding hat seine Zeit, nichts ist von Dauer
dabei wär ich durchaus bereit
gegebenenfalls überhaupt nicht zu sterben
um den Beisetzungsgeiern
und den peinlichen Grabreden zu entgeh’n
doch ich will’s mir mit meinen Erben
nicht verderben.