„Leben und Tod“ Eine Unterrichtseinheit an der Grundschule Gau-Odernheim im Zusammenhang mit der Ausstellung „Mir geht’s gut“ des Fördervereins Tumor- und Leukämiekranke Kinder e.V. Mainz

Der Artikel von Claus Maywald wurde veröffentlicht in: frühe Kindheit, Heft 1/2012 Kinder und Tod, Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft e.V. (Hrsg), S.57-59.

Die Ausstellung „Mir geht’s gut“

In der Ausstellung „Mir geht’s gut“ des Fördervereins Tumor- und Leukämiekranke Kinder e.V. Mainz werden auf großen Leinwänden mehr als 30 Zeichnungen von Lara gezeigt. Lara starb 2011 im Alter von sechs Jahren im Kinderhospiz „Bärenherz“ in Wiesbaden. Drei Jahre zuvor war bei ihr ein Hirntumor festgestellt worden, der trotz Chemotherapie, Bestrahlung und Stammzellentransplantation nicht besiegt werden konnte. Mit künstlerischem Geschick hat es Lara verstanden, ihre Situation im Krankenhaus darzustellen. Der Autor und Vater von Lara hat die Zeichnungen digital aufbereitet. Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Dutzend überarbeiteter Fotos des Autors mit Motiven aus dem Krankenhaus, die zeigen, vor welchem Hintergrund die Bilder des Kindes entstanden sind. Das Rheingau-Echo (Ausgabe vom 8.12.2011) beschreibt die Ausstellung wie folgt: „Wer die Ausstellung betritt, macht drei Phasen durch. Zunächst ist er entzückt von der energiegeladenen und strahlenden Fröhlichkeit der Bilder, den lachenden Gesichtern, den sich auf typisch kindliche Art über realistische Vorgaben hinwegsetzenden Figuren und Szenarien. Dann, bei näherer Betrachtung, erkennt er, was die Zeichnungen darstellen – Kinder in der MRT-Röhre, auf dem Krankenhausbett, am Infusionsständer, auf dem OP-Tisch. Und nun kommt das Unglaubliche: Nachdem der erste Schock vorüber ist, kehrt die Fröhlichkeit wieder. Der Betrachter fühlt sich transformiert und kann sich sogar vorstellen, so ein Bild bei sich zu Hause an die Wand zu hängen.“

Das Projekt „Leben und Tod“ der Grundschule Gau-Odernheim

Zwei Wochen vor ihrem Tod wurde Lara eingeschult. Zu dieser Zeit befand sie sich im Kinderhospiz „Bärenherz“, durch ihren Tumor bereits am ganzen Körper gelähmt und durch den Morphintropf in ihrem Bewusstsein geschwächt. Sie wusste, dass sie sterben würde. Die Einschulung gehörte zu den letzten Wünschen, die sie noch äußern konnte. Aufgrund ihres Zustandes bestand nicht sehr viel Hoffnung, dass sie diesen Termin noch erleben könnte – aber sie schaffte es. Am 9.8.2011, ihrem sechsten Geburtstag und zugleich dem Tag der allgemeinen Einschulung in Rheinland-Pfalz, erschienen ihr Klassenlehrer und die stellvertretende Direktorin der Schule im Hospiz und haben Lara offiziell eingeschult und in die erste Klasse der Grundschule, in die Klasse der „Haie“, aufgenommen. Nach Laras Tod beschloss die Schule, mit der betreffenden Klasse eine Unterrichtseinheit zum Thema „Leben und Tod“ durchzuführen. Die Idee war, die in dem Projekt entstehenden Bilder der Schüler(innen) den Bildern des verstorbenen Mädchens zur Seite zu stellen, um auf diese Weise eine Verbundenheit über den Tod hinaus aufzuzeigen. Wie ernst diese Aufgabe von den Kindern genommen wurde, lässt sich an den Anfragen einiger Mädchen verdeutlichen, die wissen wollten, ob sie jetzt noch Freundin von Lara werden könnten.

Susan Kayser, stellvertretende Leiterin der Grundschule Gau-Odernheim, beschreibt den Verlauf der Unterrichtseinheit: „Nach der Begegnung mit Lara und ihrer Familie war das Lehrerteam der ‚Haie’ sich einig, dass Lara als Teil der ‚Haie-Klasse’ auch Raum in der Klasse zusteht. Dieser wurde geschaffen, sowohl in den Köpfen, als auch sichtbar im Klassensaal und Schulhaus. Neben Berichten über Lara und ihre Krankheit, gab es aber auch den Raum für die Kinder, von eigenen Erfahrungen mit Leben und Tod zu berichten. Egal welche Verluste die Kinder erlebt hatten, man konnte merken, dass es wichtig war, über Dinge, die sie beschäftigen, frei reden zu können. Noch wirkungsvoller als nur über Gefühle zu reden, war der kreative Umgang damit. So entstanden beeindruckende Texte, Bilder, Fotos und Werke aus Holz. Da es sich bei den ‚Haien’ um eine jahrgangsgemischte Klasse mit Kindern im Alter von sechs bis elf Jahren handelt, wurde so gewährleistet, dass sich jeder seinen eigenen Weg zum Umgang mit diesem Thema wählen konnte. Während besonders die kleinen ‚Haie’ zum Teil abenteuerliche Geschichten erfanden, in denen Menschen von Dinos gefressen wurden, gab es unter den Erstklässlern aber auch einige beeindruckende Fotos zu bestaunen. Besonders die Mädchen, die sich Lara als Patenkind gewünscht hatten, schrieben ihr Briefe. Comics über Himmel und Hölle, Kreuze aus Holz für verstorbene Opas, aber auch tiefgründige Texte entstanden über die Wochen.“ Eine wichtige Rolle im Projekt spielte Lektüre zum Thema. Ein Ausgangspunkt waren die Bücher „Ich im Krankenhaus“ und „Mein Tumor ist böse“, die der Autor für seine Tochter und andere Kinder im Krankenhaus entwickelt und gestaltet hatte, sowie weitere Kinderbücher zum Thema. Nachdem die Bilder der Schüler(innen) fertig gestellt waren, wurden sie auf drei große Leporellos geklebt und in die Ausstellung „Mir geht’s gut“ integriert. Susan Kayser resümiert: „Es war für die Kollegen der Klasse beeindruckend zu sehen, wie eine ganz persönliche Begegnung – Laras Besuch zur Hospitation in der Schule im Frühjahr 2011 – so weite Kreise ziehen kann. Wer diese beeindruckende kleine Person kennen lernen durfte, konnte sich ihr nicht entziehen. Ihre Kreativität, aber auch ihr fröhliches Wesen, hinterließ einen bleibenden Eindruck. Natürlich war der Tag der Einschulung für das Lehrerteam der „Haie“ eine große Herausforderung: Nachdem wir am Vormittag in einer großen Feier insgesamt 70 neue Erstklässler begrüßt hatten, ging es danach, mit dem Programm auf Video mitgeschnitten, in das Kinderhospiz nach Wiesbaden. Dort wartete eine ganz besondere Feier – Geburtstag und Einschulung mit Torte und Überraschungsbesuch eines Pferdes, mit ganz viel Liebe, mit Lachen, aber auch irgendwie „zum Heulen“. Die Verbindung zu Lara, zu ihrer Familie, aber auch zu den Menschen, die den Tod nicht ausklammern, sondern ihm zum Teil sogar „hauptberuflich“ begegnen, wurde stärker. Es folgten weitere Begegnungen zu Laras Abschiedsfeier und Beerdigung, aber auch Besuche von Laras Vater in der Schule während unseres Projekts. Vor Weihnachten nahm dann eine Gruppe der Schule an der Weihnachtsfeier im Kinderhospiz „Bärenherz“ teil und wurde prompt für das kommende Jahr wieder eingeladen. Dabei kamen auch die Eltern mit ins Spiel, die ihre Kinder zu diesem Anlass begleiteten und das Projekt so unterstützten. Unterstützung erfuhren wir auch durch die Schulgemeinschaft – es war für alle klar, dass der Erlös unseres Neujahrskonzerts an das „Bärenherz“ geht, Chor und Streichergruppen legten sich ins Zeug. Auch kleine Haie können eben richtig große Wellen machen!“

Dr. Claus Maywald ist Kunsthistoriker in Mainz. Er ist Vater von Lara, die 2011 im Alter von sechs Jahren an einem Hirntumor gestorben ist.