Die Ausstellung „Mir geht’s gut“ in der Rathausgallerie Mainz

Die Rede von Claudia Langanki (Kinderhospiz Bärenherz in Wiesbaden)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bedanke mich sehr herzlich für die Einladung zu dieser Ausstellungseröffnung und dafür die Laudatio halten zu dürfen.

Umso mehr, als es sich um eine junge Künstlerin handelt, die leider nicht mehr in unserer Welt lebt – und die sich auch nie als Künstlerin gesehen hat, sondern einfach als ein Kind, wie andere Kinder auch. Ihre Lebenssituation mit ihrer Krankheit und deren Verarbeitung durch das Malen und Zeichnen haben es mit sich gebracht, dass sie trotzdem noch unter uns weilt – mit ihren Bildern und den begleitenden Ideen und Gedanken die sie dazu hatte. Diese Werke, die von ihrem Vater digital weiter verarbeitet und auf Leinwand groß ausgedruckt wurden, stehen hier um uns herum und irgendwie ist auch hier wieder Lara dabei, mit ihrer ansteckenden Fröhlichkeit, trotz der vernichtenden Diagnose.

Lara hat mit ihren sechs Jahren viele bewegt und bewegt sie weiter. Wir alle können eine große Weisheit erkennen, die hinter den Bildern steckt.

Lara hat mit ihrem kindlichen Tun eine Seite aufgeschlagen, die nicht nur ihre Lebenssituation und ihre Krankheit beleuchten, sondern sie berührt uns, weil sie in uns etwas anklingen lässt, was weiter reicht, und was auch uns betreffen kann. Damit ist sie nicht mehr das kleine sechsjährige Mädchen, sondern ein Mensch wie alle anderen auch, aber ein Mensch, der für seine Lebenszeit und Lebenssituation Zeugnis in Form von Bildern ablegen konnte.

Lara hat ihre Situation weniger als Leidenszeit empfunden. Sie hat versucht, alle Situationen ihres Lebens, besonders die schmerzhaften, mit Humor zu füllen – um sie selber aushalten zu können und um den anderen die Situation leichter zu machen. Sie hat sich damit arrangiert, mit ihrer Krankheit, mit ihrem Tumor. Und sie hat einfach weitergelebt und das Beste aus der Situation gemacht. ´

„Mir geht’s gut“ – dieser Ausspruch stammt von Lara selber und ist der Titel der Ausstellung. Er zeigt, dass sich Lara trotz allem, was man objektiv als schlecht anführen kann, gut gefühlt hat. Dieser Satz kam einfach so aus ihrer heraus, als sie sich mit ihrem Vater auf dem Weg in die Klinik nach Frankfurt für eine Stammzellentransplantation befand. Wer nur in etwa ahnen kann, welche Belastung eine solche Behandlung bedeutet, wird umso mehr von dieser Aussage überrascht und ergriffen sein. Sie ist aber typisch für Kinder in dieser Situation und besonders typisch für Lara, die ein besonderes Kind war und ist.

Lassen Sie mich ein wenig diese Situation beleuchten.

Kinder, die schwer erkranken, erleben einen radikalen Einbruch in ihr bisher geführtes Leben. Die Diagnose Krebs reißt sie aus ihrem Alltag heraus und wirft sie in eine Welt der Klinik. In diesem System des Krankenhauses gibt es vorgegebene Abläufe, in dem alle funktionieren müssen. Das Familienleben ist außer Kraft gesetzt. Die Behandlung, der sich die Kinder unterwerfen müssen, kann sich über Monate oder Jahre hinziehen. Das Krankenhaus wird zu einer wichtigen Station in ihrem Leben, der Aufenthalt oftmals zum Ersatz für die verlorene Zeit in Kindergarten oder Schule. Die Diagnose bedeutet Trennung von der Familie, Schmerzen, Ängste und Ungewissheit. Zu den schwierigsten Aufgaben der Eltern zählt daher fortan, den Klinikalltag für die Kinder und sich selber positiv wahrzunehmen und zu gestalten – trotz der für das Kind belastenden und scherzhaften Behandlungen. Sie werden dabei so gut wie möglich durch das Klinikpersonal und die Fördervereine unterstützt.

Auch das Leben der Eltern und der Geschwister hat sich von einem auf den anderen Tag verändert – die unerwartete Situation fordert alle manchmal bis zur physischen oder psychischen Erschöpfung. Wenn es trotzdem gelingt, nicht zu resignieren, Kraft und Mut gefunden werden kann, gelingt es auch, mit dem erkrankten Kind die Hoffnung zu behalten und den Weg gemeinsam zu beschreiten. Offenheit und Ehrlichkeit nach innen und außen helfen, das Schicksal zu tragen und nicht mit ihm zu hadern. Es kann jeden treffen, und man darf darüber Zeugnis ablegen. Reden, Gefühle und Emotionen mit anderen betroffenen Eltern, mit seiner näheren und weiteren persönlichen Umgebung auszutauschen, hilft: Wir sind eine Facette im Buch des Lebens; wir gehören dazu. Denn das Leben ist bunt, vielfältig, hat Höhen und Tiefen!

Für Kinder ist Malen ein wichtiger Weg, ihre Botschaften zu artikulieren und Gefühle zu transportieren. Durch ihre Bilder vermitteln sie uns eine Sicht auf ihre Welt, die ein Teil unserer Welt ist. Und wir erkennen, dass sie auch aus dieser Perspektive schön und lebenswert ist. Die Bilder der Kinder sind ihre Art auszudrücken, was sie empfinden, was sich in ihnen bewegt, was sie fühlen, was ihre Zukunft sein wird oder sein kann.

Malen und Zeichnen gehört zu den Freizeitbeschäftigungen, denen fast alle Kinder gerne nachgehen. Diese Tätigkeit ermöglicht, das eigene Erleben, die Gedanken, Wünsche und Hoffnungen auf „ein Blatt Papier zu bringen“ und sich dadurch mit Anderen auszutauschen. Es ist eine wunderbare Sprache ohne Worte. Für die Kinder im Krankenhaus ist diese Beschäftigung um so mehr ein ideales Vehikel, sich mit ihrer besonderen Situation auseinander zu setzen, da ihre Möglichkeiten der Beschäftigung beschränkt sind und das Erleben vieler anderer Situationen aus nahe liegenden Gründen nicht möglich ist. Sie können sich nicht einfach an andere Orte außerhalb des Krankenhauses oder des Krankenzimmers begeben, oder mit anderen Kindern ungezwungen zusammen kommen – aber sie können im Krankenbett fast immer ohne Einschränkungen malen.

Nicht ohne Grund ist die Maltherapie mittlerweile in vielen Kinderkrankenhäusern ein fester Bestandteil im Wochenplan – eine Therapie, die vom Förderverein Tumor- und Leukämiekranker Kinder schon seit Jahren in der Kinderklinik gefördert und bezahlt wird.

Mit den hier ausgestellten Bildern wird es uns möglich gemacht, einen Blick auf den seelischen Zustand des erkrankten Kindes zu nehmen. Der kindliche scharfe Blick präsentiert uns die momentane Verarbeitung des Erlebten und regt damit zum Sprechen an. Wir sind eingeladen, uns auseinander zu setzen, wir können in einen Dialog treten. Die Bilder lassen uns mitfühlen und vermitteln auch Erkenntnisse für uns, für unser Leben.

Denn „wenn wir aus unserem tiefsten Gefühl heraus etwas äußern, wenn es authentisch ist mit uns, dann gelingt uns manchmal eine Aussage, die verbindlich ist, nicht nur subjektiv, sondern auch für andere Menschen gültig“ (Werner Kraus / Kunsttherapeut)

Lassen sie mich aus den vielen Bildern zwei herausnehmen, die für mich besonders typisch und wichtig sind. Da ist zum einen das Bild mit den „guten und schlechten Zellen“.

Es zeigt die Auseinandersetzung von Lara mit ihrer Krank-heit, mit sich selber. Indem sie die einzelnen Zellen beschrieb, ihre Aufgabe und Funktion, sich Geschichten dazu ausdachte, hat sie auf ihre Weise versucht, das Geschehen zu reflektieren und ihm ein Gesicht zu geben.

Ein anderes, nicht weniger interessantes Bild hat den simplen Titel „Mädchen mit Infusionsständer“. Es hängt dort an der Wand.

Das abgebildete Mädchen – ich denke, es ist Lara selber – mit dem Infusionsständer sieht fröhlich aus und scheint sich mit der Sache arrangiert zu haben. Wenn wir aber den Text von Lara dazu lesen, erfahren wir, dass die Säcke „voll mit medizinischen Sachen sind, die die Ärzte brauchen.“ Diese Säcke symbolisieren für mich die Menge an Medikamenten, die in ihren Körper hineingepumpt wurden. Sie zeigen, dass sich Lara damit auseinander gesetzt hat, wie viel ihr zugemutet wurde. Und sie hat es ertragen, für die Hoffnung, gesund zu werden.

Ein kurzes Wort zu den drei Bildern von dem Vater von Lara, Claus Maywald. Sie sind seine persönliche Auseinandersetzung mit dem Sterben, dem Tod und der Trauer um Lara. Es ist sein Versuch, die schwierige Situation zu verstehen und in Bilder zu fassen. Auch bei seinen Bildern ist der gleiche heilsame Ansatz wie bei Lara zu sehen – nicht schweigen, nichts in sich „hineinzufressen“, sondern weiter zu gehen und der schweren Situation einen Ausdruck zu geben und damit in das Leben zu integrieren.

 Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zu meiner persönlichen Beziehung zu Lara und ihrer Familie erzählen.

Ich habe Lara in der Kinderonkologie der Universitätsklinik kennen gelernt, als sie am Ende ihrer Therapie in den letzten Monaten ihres Lebens gerade mit der Kunsttherapeutin gemalt hat. Ich wusste nicht, dass es Lara ist, aber ich habe es vermutet, denn ich wollte sie aufsuchen. Sie saß hinter einer spanischen Wand mit der Therapeutin und redete mit ihrer zarten Stimme. Ein Kind mit wunderschönen Augen und einer intensivenen Ausstrahlung. Man konnte schnell ihr Vertrauen gewinnen und man schloss sie schnell ins Herz. Sie wusste was sie wollte. Sie überlegte nicht lange und war sehr klar – und das mit knapp sechs Jahren. Als sie ein paar Wochen später zusammen mit ihrer Familie in das Kinderhospiz Bärenherz aufgenommen wurde, hat sich unser Kontakt intensiviert. Ihre Fröhlichkeit behielt sie bis zum Ende, obwohl sie nicht von ihrer Familie und der Welt gehen wollte. Sie hat es genossen, zu leben, zu lachen, zu spielen. Sie war einfach nur ein kleines, munteres und fröhliches Mädchen.

Es war eine Begegnung, die mich bis heute nicht losgelassen hat und ich bin froh, hier Lara wieder einmal so nahe zu sein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!